Am 28. Juni 2025 ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft getreten – und es betrifft auch viele Arzt- und Zahnarztpraxen. Wer mit seiner Website digitale Dienstleistungen für Patient:innen bereitstellt – etwa eine Online-Terminbuchung, ein Kontaktformular oder Videosprechstunden – ist ab sofort verpflichtet, diese barrierefrei anzubieten. Für „alte“ Praxis-Websites gibt es aber eine Übergangsfrist.
In diesem Beitrag erfahren Sie, was das konkret bedeutet, ob Ihre Praxis betroffen ist, welche technischen und gestalterischen Anforderungen gelten – und warum sich eine barrierefreie Website nicht nur rechtlich, sondern auch aus Sicht des Praxismarketing lohnt.
1. Was ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?
Das BFSG setzt die EU-Richtlinie 2019/882 („European Accessibility Act“) in deutsches Recht um. Ziel ist es, Produkte und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen besser zugänglich zu machen – insbesondere im digitalen Raum.
Für den Bereich der Heilberufe heißt das konkret: Wenn eine Praxis bestimmte digitale Angebote macht, müssen diese den internationalen Standards der Barrierefreiheit entsprechen, z. B. den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1, Level AA).
2. Welche Praxen sind betroffen?
Das Gesetz gilt grundsätzlich für Unternehmen, die mehr als 10 Mitarbeitende beschäftigen oder mehr als 2 Millionen Euro Jahresumsatz erzielen. Kleinstunternehmen sind formal davon ausgenommen (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 BFSG).
Aber: Die Schwelle ist schnell erreicht – etwa durch:
- Medizinische Versorgungszentren (MVZ),
- Praxisgemeinschaften,
- Online-Dienste (Online-Terminvereinbarungen wie Dr. Flex / Doctolib, Videosprechstunden, digitale Formulare etc.),
- Franchise- oder Kooperationsmodelle.
Außerdem gilt: Wenn eine Praxis aktiv mit digitalen Schnittstellen arbeitet, z. B. Online-Rezeptbestellung oder Chat-Funktionen (wie 321med), kann sie auch unabhängig von Größe und Umsatz betroffen sein.
3. Was gilt ab wann?
- Seit dem 28. Juni 2025: Das Gesetz ist rechtskräftig.
- Übergangsfrist bis Juni 2030: Für „alte“ Websites gilt diese Frist zur vollständigen Umsetzung.
- Neuprojekte ab 28.6.2025: Neue oder grundlegend überarbeitete Websites müssen sofort barrierefrei gestaltet werden.
- Pflicht zur Erklärung: Ab sofort muss eine sogenannte „Erklärung zur Barrierefreiheit“ auf der Website eingebunden sein.
4. Was heißt „barrierefrei“ konkret?
Barrierefreiheit im Web bedeutet, dass Inhalte und Funktionen für alle Menschen zugänglich sind – unabhängig von Einschränkungen beim Sehen, Hören, Verstehen oder der Motorik.
Die wichtigsten Anforderungen an eine barrierefreie Praxis-Website:
- Tastaturbedienbarkeit: Die Seite muss ohne Maus navigierbar sein.
- Alt-Texte für Bilder: Jedes Bild braucht eine textliche Beschreibung (ist für die Suchmaschinenoptimierung schon immer relevant gewesen).
- Klare Sprache: Fachbegriffe sollten erklärt werden, Inhalte strukturiert sein (das gebietet die Patientenorientierung auch seit jeher)
- Farbkontraste: Texte müssen sich deutlich vom Hintergrund abheben.
- Untertitel für Videos: Inhalte müssen auch ohne Ton verständlich sein.
- Formulare: Müssen klar beschriftet und logisch aufgebaut sein – inklusive Hilfestellung bei Fehlern (Achtung für Menschen mit Rot-Grün-Schwäche)
- Responsives Design: Die Website muss auf allen Endgeräten gut funktionieren.
- Screenreader-Kompatibilität: Die technische Struktur muss für Vorleseprogramme geeignet sein.
- Erklärung zur Barrierefreiheit: Diese muss öffentlich und leicht zugänglich auf der Seite eingebunden sein.
5. Was ist die Barrierefreiheits-Erklärung?
Diese Erklärung ist Pflicht. Es soll eine eigene Seite sein (und nicht Teil des Impressums). Sie soll Besucher:innen darüber informieren,
- welche Teile der Seite barrierefrei sind,
- welche noch nicht barrierefrei sind (und warum),
- wann Verbesserungen geplant sind,
- wie man Feedback geben kann.
Wichtig: Auch wenn die Website technisch barrierefrei ist – ohne diese Erklärung gilt sie als „nicht barrierefrei“ im rechtlichen Sinne.
6. Wie kann man Barrierefreiheit prüfen?
Es gibt mehrere Möglichkeiten, eine Praxis-Website zu testen:
🔧 Tools:
- Google Lighthouse (PageSpeed) – gibt einen Accessibility-Score von 0 bis 100.
- WAVE Web Accessibility Tool – prüft Struktur, Kontrast, Bildbeschreibungen etc.
👩💻 Manuelle Tests:
- Navigation mit der Tastatur (Tab-Taste),
- Lesen der Website mit einem Screenreader (z. B. NVDA oder VoiceOver),
- Prüfung von Kontrasten und Alternativtexten.
Hinweis: Die automatischen Tools liefern Hinweise – aber die Bewertung sollte idealerweise gemeinsam mit einer Agentur oder erfahrenen Webentwickler:innen erfolgen.
7. Was passiert bei Verstößen?
Es drohen keine pauschalen Abmahnwellen. Vielmehr ist ein gestuftes Verfahren vorgesehen:
- Hinweise und Fristen zur Nachbesserung,
- Prüfungen durch Marktüberwachungsbehörden,
- Bußgelder nur bei hartnäckiger Missachtung oder fehlender Kooperation.
Das bedeutet: Praxen sollten keine Panik haben, aber aktiv werden. Wer sich bemüht und dokumentiert, zeigt rechtlich guten Willen – und das zählt.
8. Warum lohnt sich Barrierefreiheit auch unabhängig vom Gesetz?
- SEO-Vorteile: Barrierefreie Seiten sind strukturierter und schneller – das gefällt auch Google.
- Patientenzufriedenheit: Ältere, seh- oder hörgeschädigte Menschen haben besseren Zugang zur Praxis.
- Weniger Rückfragen: Klare Formulare und leicht verständliche Inhalte senken den Kommunikationsaufwand.
- Imagegewinn: Die Praxis zeigt, dass sie für alle da ist – gelebte Inklusion.
Fazit: Jetzt handeln – aber mit Augenmaß
Das BFSG ist kein Grund zur Panik, aber ein klarer Anlass, die eigene Praxis-Website auf den Prüfstand zu stellen. Vieles kann mit einfachen Mitteln umgesetzt werden. Wer jetzt beginnt, hat bis 2030 genug Zeit für sinnvolle, rechtssichere und patientennahe Verbesserungen.
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